Im heutigen Experten-Interview dürfen wir die Antworten von Joachim Haydecker präsentieren. Er ist Senior Analyst bei Crisp Research mit dem Fokus auf „Social Collaboration“ und „Talent Management“. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Joachim Haydecker als IT-Analyst, IT-Consultant, Trainer und Coach. Nach seiner Ausbildung zum DV-Kaufmann als Administrator und Entwickler und seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kassel arbeitete er mehrere Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Inhouse-Consultant für „E-Learning“ an der gleichen Universität. Seit ein paar Jahren entwickelt er gemeinsam mit Unternehmen Konzepte für die Einführung und Etablierung von Social Business Lösungen.
1. Was steckt für Dich/Sie hinter den Schlagworten “Social Collaboration”, “Enterprise 2.0” und “Digital Workplace”? Was ist Deine/Ihre Erklärung für das Thema und seine Bedeutung?
Die Weiterentwicklung der Kommunikation und des Austausches von Informationen im Unternehmen durch moderne Tools und Plattformen sowie der Anpassung der Unternehmenskultur, um die sich verändernden Herausforderungen in einer sich immer weiter digitalisierenden Welt erfolgreich zu bestehen.
Weniger akademisch ausgedrückt, geht es um die Nutzung von neuen Kommunikationswerkzeugen, die die Zusammenarbeit und den Wissensaustausch verbessern, aber nur, wenn die Kultur/die Organisation des Unternehmens dazu auch bereit ist.
Das interessante an dem ganzen Thema in der realen Unternehmenswelt ist, dass die Bandbreite der Reaktionen von „Was ist das, das brauchen wir nicht“ bis hin zu „worüber redet ihr eigentlich, das machen wir schon lange so“ reicht.
2. Warum sind bei diesem Thema auch Ende 2014 noch keine substantiellen Erfolge und Veränderungen in der Breite der Unternehmen zu erkennen?
Weil es keinen Tag X gibt, an dem alles läuft und alle mitmachen – es gibt keinen „klassischen“ Roll-Out. Daher ist es auch so schwer von messbaren Erfolgen zu sprechen. Bei Kommunikationswerkzeugen ist das aber schon immer der Fall. Man erinnere sich nur an die Einführung des Telefons in den 1970iger Jahren oder der E-Mail in den 1990iger Jahren. Beides dauerte viele, viele Jahre, bevor man davon sprechen konnte, dass alle per Telefon bzw. per Mail erreichbar waren.
Warum ist das so schwer messbar? Bei allen drei Themen geht es viel um das persönliche Verhalten, Vorlieben, die gelebten Werte und die Strukturen in der Organisation, die Mitspieler, Vertrauen (Telefonate mussten in manchen Organisationen angemeldet und E-Mails beim Amtsleiter vorgelegt werden) u.v.m.
Der Unterschied von Telefon und Mail gegenüber Social Collaboration ist, dass jede/r jede/n anrufen und ebenso anmailen kann, unabhängig von der beim Empfänger verwendeten Technologie. Das ist bei Social Collaboration noch lange nicht der Fall bzw. wird es wahrscheinlich auch nicht werden. In der Regel ist an den Grenzen des Unternehmens Schluss bzw. es wird eine andere Plattform mit einem anderen Aussehen und Funktionen eingesetzt. Da wird schneller eine Mail geschrieben bevor man sich die Mühen macht und sich beim Partnerunternehmen einen Zugang besorgt, sich anmeldet, orientiert und mit Mühen sich darin zu Recht findet.
Ähnliches passiert aber auch häufig in Unternehmen bei der täglichen Nutzung: „Ich schreib dir mal schnell eine E-Mail“ - Warum: Sie ist bekannt, funktioniert und ist etabliert. Das macht den Weg der Einführung nicht leichter.
Trotzdem gibt es Versuche, die Erfolge zu messen. Der erste messbare Schritt ist die Installation und Bereitstellung der Software. Der zweite messbare Wert könnte (!) sein, wenn man ausgesuchte Szenarien entwickelt und eingeführt hat. Hier könnte man definieren, wer wie „mitspielen“ soll und was passieren soll. Das ist dann mit etwas Phantasie messbar.
Geht es aber um eine vollständige Nutzung und Integration in den Arbeitsalltag eines Mitarbeiters, dann wird das Messen schon sehr schwer.
Aber genau diese „Schwere“ ist es, die alten Denkmustern entspricht, und damit eine – oftmals unüberwindbare – Hürde bei der erfolgreichen Einführung und Etablierung bildet. Die Nutzung muss für den Mitarbeiter etwas Selbstverständliches werden - ohne Zwang und Kennzahlen. Der Einsatz der Social Collaboration Plattform erfolgt, weil sie der Mitarbeiter nutzen möchte, weil das Team sie als praktikabel ansieht, weil sie für das Projekt von Vorteil ist oder zum Standard im Unternehmen geworden ist.
3. Was macht für Dich/Sie eine gute Strategie zum Thema “Social Collaboration” & “Digital Workplace” aus?
Das Unternehmen muss sich im Klaren darüber sein, vor welchen Herausforderungen es in den kommenden Jahren steht!
- Gibt es neue(!) Mitbewerber – die alten kennt man, man schätzt und duldet sich. Das sind nicht die Herausforderungen, sondern ganz neue Player, die erst durch die Digitalisierung in die Märkte stoßen. (Google baut Thermostate, Apple baut Armbanduhren und bald auch Autos, Uber vs. Taxis, …),
- fehlende Mitarbeiter, Mitarbeiter die gehen
- Erschließung neuer Märkte oder Entwicklung neuer Technologien,
- u.v.m.
Daraus leiten sich dann z.B. die folgenden Erkenntnisse ab und hoffentlich die daraus resultierenden Maßnahmen ab:
- die bisherigen Kommunikationswege reichen nicht mehr aus,
- hierarchisch oder persönlich bedingte Mauern in den Köpfen müssen aufgebrochen werden („Wir sind Marketing, nicht Vertrieb – damit haben wir nichts zu tun“)
- das Wissensmanagement muss aus dem Laufwerkssilo befreit werden,
- die Experten und Entwickler im Unternehmen müssen sichtbar(er) werden mit ihren Ideen,
- die Entscheidungswege müssen transparenter werden,
- u.v.m.
Ist das Unternehmen an dieser Stelle, kann es mit dem Digital Workplace losgehen. Die Unternehmensleitung und HR kümmern sich um die Organisation, den Wandel und die Werte, die IT um die Software und die Mitarbeiter fangen an, sich die neue Welt zu erobern.
Und alle(!)im Unternehmen sorgen gemeinsam(!) dafür, dass die Herausforderungen der Zukunft bewältigt werden können.
4. Gibt es für Dich/Sie Prozessfelder, wo für das Thema relativ sicher “Quick Wins” erzielt werden können?
Von Anfang an auf die professionelle Unterstützung von internen/externen/freiwilligen/ausgebildeten/wie auch immer gearteten Community Manager setzen. Die Herangehensweise „Wir schauen mal wie das Funktioniert und nutzen es dann erstmal so!“ ist zum Scheitern verurteilt.
Gibt es diese Personen im Unternehmen, dann können sie gemeinsam auf fast jedem Anwendungsfeld den Anwendern bei der Umsetzung ihrer Anforderungen helfen und einen „Quick Win“ erzielen.
Typische Communities, die sehr schnell zu Erfolgen führen, sind der Aufbau eines Expertennetzwerks oder in der Projektkommunikation.
5. Was ist Eure/Ihre zentrale Empfehlung für die Einführung und Etablierung dieser Konzepte im Unternehmen?
Unternehmen und die darin (häufig sehr engagiert) arbeitenden Akteure sollen aufhören mit diesem „Mal so eben einführen wollen“ ohne Plan, Managementunterstützung, Budget und Ziel. Da fällt jedes Mal einer von der SAP Front lachend vom Stuhl.
Es geht um das wichtigste in einem Unternehmen: Kommunikation, Zusammenarbeit und Wissenstransfer!
Die hergestellten Produkte oder die angebotenen Dienstleistungen sowie auch das Klingeln in der Kasse am Ende des Monats sind alles sehr wichtige Themen. Aber sie sind nur ein Ergebnis von (ich wiederhole mich) guter Kommunikation, hürdenfreier Zusammenarbeit und dem erfolgreichen Transfer von Wissen.
Ja, ja: Es muss heißen Austausch von Daten bzw. mit Kontext von Informationen, die dann im Kopf des Empfängers zu Wissen werden - „Verkopfung“, von oben herab, ohne Anbindung an die Mitarbeiter ist eine andere Möglichkeit, Social Collaboration - trotz gutem Willen - kaputt zu machen.
Es ist und bleibt ein schwer greifbares Thema, dass mit langem Atem und viel Feingefühl, Veränderungsbereitschaft, Nachdruck und Geld eingeführt werden will.
Aber es ist ein tolles Thema, es macht Spaß und es bringt über kurz oder lang echte Mehrwerte für das Unternehmen. Oder wollen sie auf das Telefon oder ihre E-Mail komplett verzichten?